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Begegnungen


Wer vom Schreiben lebt und ein langes Leben hinter sich hat, kann sich an Begegnungen mit Menschen erinnern, die von größerer Bedeutung sind oder waren als man selbst.


Mein erstes Interview als Journalist führte ich 1958 mit Bischof Hanns Lilje in der Evangelischen Akademie in Tutzing am Starnberger See. Hanns Lilje war damals stellvertretender Ratsvorsitzender der EKD und leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands. Im März 1958 hatte der Bundestag die Aufrüstung der Bundeswehr mit taktischen Atomwaffen beschlossen, als Protest dagegen entstand die Kampagne „Kampf dem Atomtod“. Schon 1956 hatte die Synode der EKD alle Christen aufgerufen, sich nicht an Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen zu beteiligen. Bischof Lilje war jedoch ein Befürworter der Wiederbewaffnung und wurde von der politischen Prominenz der DDR als „NATO-Bischof“ geschmäht. Ich wollte von ihm eine Stellungnahme zur atomaren Bewaffnung der Bundeswehr erhalten, das Interview erschien dann in der „Deutschen Volkszeitung“ (DVZ).


1958 lernte ich auch einen Olympiasieger kennen, den Gewichtheber Rudolf Ismayr, der damals mit 49 Jahren Regierungsrat in Augsburg war. Er war dreimal Europameister im Mittelgewicht, 1931 in Luxemburg, 1934 in Genua und 1935 in Paris, er hatte 1932 bei den Olympischen Spielen in Los Angeles die Goldmedaille geholt, sprach vier Jahre später bei den Spielen in Berlin den Olympischen Eid und gewann die Silbermedaille. Ismayr war damals, als ich ihn interviewte, aktiv in der Bayerischen Friedensbewegung. Er war zum Kriegsdienstgegner geworden, als er im Zweiten Weltkrieg als Soldat Landesgrenzen als ungebetener Eindringling überschreiten musste, die er zuvor als Sportler als geladener Gast passiert hatte, er war damit, wie er mir sagte, irgendwie zum Verräter an der hohen olympischen Idee geworden.

Eine unvergessliche Begegnung hatte ich mit Heinrich Harrer, Professor Heinrich Harrer, der 1938 als einer von vier Bergsteigern die als unbezwingbar geltende Eiger-Nordwand bezwungen hatte, der in Tibet Lehrer des Dalai Lama war, österreichischer Golfmeister, Weltmeister in der Skiabfahrt der Akademiker. Es war im Herbst 1962, Harrer kam von einer Expedition in Neu-Guinea zurück, ich war mit ihm für ein Interview in einem Café in Kitzbühel verabredet. Zur vereinbarten Zeit war ich dort, Heinrich Harrer nicht. Nach einer halben Stunde Wartezeit erkundigte ich mich beim Wirt, der mir sagte, Harrer sei bestimmt oben auf dem Golfplatz. Ich fuhr den Berg hoch zur Anlage, da war er, bat um Entschuldigung und lud mich zu einem Spaziergang über die Anlage ein, eine 9-Loch-Anlage, leider nur, wie er beklagte, nun mussten die Golfer eben zweimal die Runde drehen. Erstaunlich und erfrischend war, wie dieser weltberühmte fünfzigjährige Mann dort oben mit dem Blick ins Tal von seinem Golfplatz schwärmte, dem ersten in Kitzbühel, dessen Bau er gegen Widerstände durchgesetzt hatte.


Einen Bundesminister lernte ich nicht wegen seiner politischen Arbeit kennen, sondern wegen seiner Leidenschaft für das Skatspiel: Ernst Lemmer. Er war von 1924 bis 1933 Reichstagsabgeordneter, nach dem Krieg von 1956 bis 1965 dreimal Bundesminister unter den Kanzlern Adenauer und Erhard, von 1966 bis 1969 Sonderbeauftragter des Bundeskanzlers Kiesinger für Berlin. Der SPIEGEL nannte ihn einmal „Deutschlands Skatbruder Nr. 1“. 1968 hatte der ASS-Verlag in Leinfelden, der Verlag der Altenburger- und Stralsunder Spielkartenfabriken, mich gebeten, als Ghostwriter für Ernst Lemmer ein Buch über Skat-Taktik zu schreiben. Eine Woche lang war ich an jedem Tag fünf bis sechs Stunden in seiner Wohnung und nahm mit dem Rekorder auf, was Ernst Lemmer zu sagen hatte. Daraus entstand dann das Buch „Skat Taktik – Erfahrungen und Gedanken eines passionierten Skatspielers“.  



Am 12. Dezember 1979 kündigte die NATO in ihrem Doppelbeschluss die Aufstellung von Raketen mit Atomsprengköpfen an (Pershing II). Nach langen inneren Ringen hatte ich mich um diese Zeit zu der Überzeugung durchgerungen, dass „Frieden schaffen ohne Waffen“ eine schöne, aber hoffnungslose Illusion bleibt. Ich lernte die NATO-Strategie der „Flexiblen Reaktion“ zu verstehen und schrieb 1982 für das Auswärtige Amt eine Broschüre mit dem Titel „Aufrüsten – Abrüsten / Die Suche nach Wegen zum Frieden“. Als wissenschaftlichen und militärtechnischen Berater konnte ich Wolf Graf von Baudissin gewinnen, der damals 75 Jahre alt war. Graf Baudissin war Mitte der sechziger Jahre als Generalleutnant Stellvertretender Chef des Stabes für Planung und Operation beim NATO-Oberkommando Europa in Paris. Graf Baudissin blieb mein Berater fast zehn Jahre lang und für viele folgende Auflagen unter den Titeln „Für den Frieden gerüstet“ und „Freiheit und Frieden“. In stundenlangen Telefongesprächen, meistens nach acht Uhr abends, diskutierten wir den Sinn des NATO-Doppelbeschlusses und den Inhalt meiner Texte, auch noch lang nach dem 80. Geburtstag des Grafen.


Mit einem der ganz Großen im politischen Leben Europas hatte ich über längere Zeit in Stuttgart, Straßburg oder Brüssel einen denkwürdigen Kontakt, der manchmal das rein Berufliche überstieg, weil der hoch Geehrte einen im Gespräch vergessen ließ, dass man nicht auf Augenhöhe mit ihm verkehrte: Pierre Pflimlin, den ehemaligen Minister unter Charles de Gaulle und kurzzeitigen Ministerpräsidenten Frankreichs, den Oberbürgermeister von Straßburg und zuletzt den Präsidenten des Europäischen Parlaments. Ich traf ihn zum ersten Mal bei einer „Schulstunde“, die er auf Initiative der engagierten Europäerin Dr. Jutta Schmitz-Rixen vor der Abiturklasse eines Stuttgarter Gymnasiums hielt, wo er in der für ihn typischen launigen Art über die Anfänge und die Bedeutung der europäischen Integration berichtete. Im Straßburger Europaparlament begleitete ich ihn einmal zu Gesprächen mit Otto von Habsburg. Eines Abends lud ich Pierre Pflimlin und sechs oder sieben weitere Gäste aus dem Europäischen Parlament zu einem Essen in ein Straßburger Lokal. Beim Erledigen meiner Pflichten als Gastgeber wäre ich vermutlich noch nervöser gewesen, hätte ich nicht erst beim Abschied erfahren, dass auch der Protokollchef des Parlaments unter meinen Gästen war.

Begegnung mit Pierre Pflimlin und Otto von Habsburg

Claus D. Grupp im Europäischen Parlament

Zum neunzigsten Geburtstag von Pierre Pflimlin habe ich ein Buch „Reden an die Jugend Europas“ mit Aufsätzen und Reden von ihm verlegt, mit zusätzlichen Beiträgen von Helmut Kohl, Manfred Rommel, Erwin Teufel und anderen seiner politischen Weggefährten. 


Ich hatte Gelegenheit, das Buch im Beisein von Pierre Pflimlin im Landtag von Baden-Württemberg vorzustellen.

Claus D. Grupp im Landtag von Baden-Württemberg

In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts habe ich eine Buchreihe des baden-württembergischen Kultusministeriums unter dem Leitthema „Europa mit-gestalten“ verlegt. Dabei hatte ich einige Male Gelegenheit zu Gesprächen und gemeinsamen Veranstaltungen mit der damaligen Ministerin Annette Schavan, einer Frau, bei der man als männliches Gegenüber – Pardon, jetzt wird es ein wenig machohaft! – nicht wusste, was mehr zu schätzen war, ihr Klugheit, ihr Charme oder ihre attraktive Erscheinung. Schade, dass sie über einen Plagiatsvorwurf stolperte.

Veranstaltung mit Annette Schavan



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