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Der Lauf des Lebens

(mit dem Zusatz: Begegnungen)


Ich wurde am Sonntag, dem 5. August 1934 in der Apensener Straße in Buxtehude geboren. Wer im Norden Deutschlands lebt, findet das nicht komisch, anders die Menschen im Süden der Republik. Dort wird diese Herkunftsangabe häufig als Witz verstanden, selbst Gebildeten ist Buxtehude bestenfalls bekannt als die Gegend, in der zur Zeit der Buchweizenblüte ein Rennen zwischen Hase und Igel stattgefunden hat. In jungen Jahren, als ich einmal für eine Reportage von Düsseldorf zu einem Truppenübungsplatz auf die Schwäbische Alb geschickt wurde, hat der Eintrag „Buxtehude“ im Meldeformular des Gasthauses zu einer Verhaftung mitten in der Nacht geführt. Aber das ist eine andere Geschichte.


Die Apensener Straße in Buxtehude um das Jahr 1930

Meine Eltern Emil Ludwig (Lutz) aus Heidelberg und Elisabeth (Elli), geborene Fink aus Stuttgart, waren gegen Ende der zwanziger Jahre mit dem Thespiskarren und einer zehnköpfigen Theatertruppe unterwegs, als Wanderbühne quer durch Deutschland mit einem völkischen Stück, was verzeihlich sein mag, wenn man bedenkt, dass Hitler damals nicht nur in Deutschland bewundert wurde. Mein Vater hatte nach der Schauspielschule im Nationaltheater in Mannheim gespielt und hatte Indianerrollen in frühen Westernfilmen in der Umgebung von Kaiserslautern übernommen.

Westernfilm

Mein Vater, der Indianer (aber nur in einem Westernfilm, der um 1922 in der Nähe von Kaiserslautern gedreht wurde)

Zur Mitte der zwanziger Jahre gab er den Teufel im Jedermann auf der Freitreppe der Stadtkirche St. Michael in Schwäbisch Hall, unter der Regie von Else Rassow (sie steht im Bild unten über dem Teufel als „Gute Werke“). Danach ging er mit seiner Frau auf Tournee. Meine Mutter war nach dem Ersten Weltkrieg mit 22 Jahren dem Elternhaus entflohen (verbunden mit lebenslänglichem Hausverbot) und hatte sich als Verkäuferin in Konstanz und Schwäbisch Hall durchgeschlagen, bis sie mit dem Teufel aus dem Jedermann einen Pakt einging und zur Bühne wechselte. Die Tournee führte über den Harz und Thüringen nach Bremervörde und endete in Buxtehude, wo die beiden Söhne geboren wurden, mein Bruder Till 1931 und ich.

Mein Vater, der Teufel (aber nur im Jedermann 1927 in Schwäbisch Hall)

1945, nach Kriegsende, kam ich ins Gymnasium, aber bis dahin hatte ich, zum einen wegen der „Wanderlust“ meiner Eltern, zum andern wegen der Bombardierungen im Krieg, schon sieben Ortswechsel hinter mir, den ersten von Buxtehude nach Altkloster, dann nach Stade mit zweimaligem Wohnungswechsel, 1942 nach Stuttgart, weil uns der Fliegeralarm in der Nähe Hamburgs immer öfter zu nächtlichem Dauerlauf in den Bunker zwang.


An dieser Stelle muss ich ein wenig abschweifen, denn die Entwicklung der Waffen hat sich seit jener Zeit so rasend schnell entwickelt, dass die junge Generation von heute sich nicht mehr vorstellen kann, wie „vorsintflutlich“ damals Krieg geführt wurde. Die ersten Bombenangriffe der Briten auf Hamburg setzten schon 1940 ein. Um die Stadt zu schützen, wurden rund um Hamburg Fesselballons an zwei- bis dreihundert Meter hohen Drahtseilen in die Luft gelassen. Die Bomber, es waren Flugzeuge vom Typ Vickers Wellington, flogen so niedrig, dass sie Gefahr liefen, mit den Tragflächen an die Halteseile der Ballons zu geraten und abzustürzen. Die Flieger mussten so niedrig fliegen, weil sie ihre Ziele mit bloßem Auge suchten. Natürlich fielen die Briten nur kurze Zeit auf diese Falle herein und flogen bald in Höhen, die von Fesselballons nicht mehr zu erreichen waren. In den ersten Nächten mit Angriffen suchten wir noch nicht den Schutz des Bunkers auf, sondern gingen bei Fliegeralarm zu nächtlicher Stunde auf die Straße, von wo aus man in Richtung Hamburg sehen konnte. Rings um die Stadt suchten die Lichtstrahlen der Scheinwerfer den dunklen Himmel ab und erfassten die Explosionswolken der Flugabwehrkanonen, kurz Flaks genannt. Für uns Buben von sechs und zehn Jahren ein grandioses Schauspiel.


In Stuttgart erlebten wir dann den Luftkrieg live. Nun fielen nicht nur Bomben auf die Stadt, sondern Luftminen, die nach dem Abwurf aus dem Flugzeug sekundenlang ein durchdringendes Pfeifen verursachten, ehe es vom Donner der Explosion beendet wurde. Seltsam die Erinnerung, dass die Explosionen – sie kamen in Minutenabständen – von uns im Luftschutzkeller eingeschlossenen Hausbewohnern wie eine Erlösung empfunden wurden, weil es andere Häuser getroffen hatte. Nach einer Bombennacht war unsere Schule ein Trümmerhaufen. Ich wurde als Neunjähriger allein mitsamt der Klasse und dem Lehrer evakuiert in die Nähe von Göppingen, während der Rest der Familie in Europa verstreut war. Es war schlimm, als Kind bei fremden Leuten einquartiert zu werden, die einen nicht gerade freundlich empfingen. Im Herbst 1944 fand meine Mutter über sehr entfernte Verwandte eine Bleibe (zwei Zimmer ohne Küche, ohne Bad) in einem Bauernhaus in einem winzigen Nest im Kreis Schwäbisch Gmünd, wo das Kriegsende zu erleben war. Drei Jahre nach dem Krieg fand meine wieder vollständige Familie (der Vater war aus der Kriegsgefangenschaft zurück) eine Neubauwohnung im Städtchen Heubach am Rosenstein, einem beeindruckend schönen und geschichtsträchtigen Berg am Traufe der Schwäbischen Alb.


Heubach hatte damals nur ein Progymnasium bis zur Mittleren Reife, danach ging es ins Parler-Gymnasium nach Schwäbisch Gmünd, das damals, um 1950, noch Oberschule für Jungen hieß. Wachsendes Unbehagen am Schulbesuch, trotzdem passables Abitur 1954. Im selben Jahr starb mein Vater mit 54 Jahren; er hatte Krieg und Gefangenschaft mit leichten Verletzungen, aber großen Magengeschwüren überstanden. Nach dem Abitur arbeitete ich ein halbes Jahr lang in einer Uhrenfabrik, um Geld für das Studium zu verdienen. Damals gab es noch kein Bafög, für jede in der Universität belegte Vorlesung mussten Gebühren bezahlt werden. Bei der Immatrikulation in München musste ein Fragebogen ausgefüllt werden, auf dem anzugeben war, ob man jemals von einer deutschen Universität wegen Nichtbezahlens der Studiengebühren exmatrikuliert worden sei.


Ende 1954 bot sich die Gelegenheit, das Volontariat bei einer Wochenzeitung in Düsseldorf (der „Deutschen Volkszeitung“) mit einem Studium in Köln zu verbinden. Die Ausbildung zum Journalisten und Redakteur (noch mit Bleisatz von der Linotype und dem Metteur, der die Überschriften aus dem Setzkasten zusammenstellte, die Lithografien mit Seidenpapier unterfütterte und die fast zentnerschwere Seite mit der Kolummnenschnur zusammenband) dauerte zwei Jahre, verständnisvoll begleitet von den älteren Schreibern Otto (Oja) Jacobsen, Günter Schwarberg, Hans Stempel und Gerd Semmer. Daneben war Zeit für das Studium von Geschichte, Deutsch und Philosophie (u. a. bei Johannes Hessen) in Köln. Meine ersten Begegnungen mit sozialistischem und kommunistischem Gedankengut führten bald zu wachsender Distanz. Ende 1956 wagte ich den ersten Versuch, als freier Journalist und Autor zu arbeiten, zog nach München, setzte das Studium fort (u. a. bei Romano Guardini). Ende 1956 heiratete mich Elsbeth, geborene Müllerstein, aus Mülheim an der Ruhr. Ihr Vater war im Dritten Reich als aktiver Kommunist im Untergrund tätig. 1957 wurde unsere Tochter Ursula geboren. Wir zogen um nach Feldafing am Starnberger See und lebten in einfachsten Verhältnissen, aber glücklich als frei und unabhängig. Ende 1958 endete das Idyll, wir zogen um nach Stuttgart, nicht zuletzt wegen finanzieller Schwierigkeiten.

Meine Frau

Mene Frau zur Zeit, als wir in Buoch wohnten (links) und 25 Jahre früher in Feldafing


1959 wurde ich Pressereferent bei Junkers in Wernau, einem zur Bosch-Gruppe gehörenden Werk. 1961 wechselte ich als Redakteur zur Zeitschrift „Die Leistung“ des Daco-Verlags in Stuttgart, 1962 als Pressereferent zum Gemeinschaftsdienst der Boden- und Kommunalkreditinstitute in Köln. Damals wurde man noch vom jeweils nächsten Arbeitgeber abgeworben. Neben der Pressearbeit für Pfandbriefe und Kommunalobligationen wurde ich Autor von Zeichentrickfilmen (aus den Toonder-Studios in Nederhorst den Berg, Niederlande) und von Informationsbroschüren für Schulen im Verlag Deutsche Jugendbücherei Köln, u. a. „Mit Tausch fing's an“ und „Geld zu jeder Zeit“ (siehe „Texte des Autors CDG“).


1964 glückte der zweite und endgültige Versuch, als freier Autor vom Schreiben zu leben und die um den Sohn Andreas angewachsene Familie zu nähren. Wir zogen von Köln nach Buoch, einem kleinen Dorf auf den Höhen des Remstals (heute zur Gemeinde Remshalden gehörend). Das Brot und die Butter dazu verdiente ich hauptsächlich als „Erfinder“ und Texter der viel gelobten Pfandbriefanzeigen in den rororo-Taschenbüchern, gemeinsam mit der Grafikerin Christa Janik, die Zeichnungen zu den Texten machte (Näheres unter „Die Pfandbriefanzeigen in rororo-Büchern“). Im Laufe von zwölf Jahren entstanden mehr als 3.500 verschiedene Texte für die Taschenbücher des Rowohlt-Verlags. Daneben verfasste ich Firmen- und Jubiläumsschriften des Wegra-Verlags in Stuttgart (u. a. „eins-zwei-drei-vier-fünf-sechs-sieben – Die Geschichte des Zählens und der Zähler“, „Geformtes Holz – Über den Sitz und das Sitzen“), schrieb Bücher für den ASS-Verlag in Leinfelden („Geschichte der Spielkarten“, „Skat-Taktik“ als Ghostwriter für Ernst Lemmer, Bücher über Kartenspiele) und für den Falken-Verlag in Niedernhausen am Taunus (Bücher über Skat, Rommé und Canasta, Poker) (Näheres unter „Texte des Autors C. D. Grupp“).


Ende der siebziger Jahre begann meine Zusammenarbeit mit Bundesministerien als Autor des Verlags Deutsche Jugendbücherei, zunächst mit dem Auswärtigen Amt, dann dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie dem Presse- und Informationsamt der Bundesregierung. Ich schrieb Schulschriften wie „Partner Dritte Welt“ und Europaschriften wie „Aus Neun mach Eins“ und „Sechs-Neun-Zehn-Zwölf“. 1982 wurde ich für zwei Jahre Geschäftsführer dieses Verlags.


1979 konnten wir eine Altbauwohnung in einem denkmalgeschützten Haus in der Stadtmitte von Stuttgart kaufen und unter Mitwirkung des Denkmalschutzes stilgerecht renovieren. Zwei Jahre später zogen wir dort in unsere erste eigene Wohnung ein. 1987 gründeten meine Frau und ich den OMNIA Verlag als GmbH mit Sitz in Stuttgart und einem Büro in Köln (günstig wegen der Nähe zu den Bundesministerien, die damals noch allesamt in Bonn saßen). Die Zusammenarbeit mit Bundesministerien und Organen der Europäischen Union, insbesondere dem Europäischen Parlament, vertiefte sich und hielt mehr als zwanzig Jahre, auch noch nach dem Umzug einiger Ministerien nach Berlin. Nun (ab 1988) entstanden die Informationsbroschüren „Dritte Welt im Wandel“„ Europa 2000“, „Freiheit und Frieden“, „Für den Frieden gerüstet“. 1994 begann die Buchproduktion im OMNIA Verlag (Näheres unter „Titel im OMNIA Verlag“).

Breitscheidstr. 31 in Stuttgart

Breitscheidstr. 31 in Stuttgart

Nun ja, und dann kam das Alter mit seinen wachsenden Kümmernissen, wir mussten unsere schöne und große Wohnung in Stuttgart verkaufen, weil die 79 Stufen hinauf in den dritten Stock eine Last wurden, und zogen um nach Schorndorf im Remstal, in den Ortsteil Schlichten auf den Höhen des Schurwalds. Klein und bescheiden, aber herrlich zu leben und in unmittelbarer Nähe zu Tochter und Enkeltochter. Im Jahr 2016 feiern meine Frau und ich die diamantene Hochzeit, nach 60 überwiegend glücklichen Ehejahren. So was gibt es noch! Und hoffentlich noch etliche Jahre mehr. 

(PS: Dieser Wunsch ist leider nicht in Erfüllung gegangen, meine Frau ist im November 2017 nach 62 gemeinsamen Jahren gestorben.)

Vorarlberg

Blick vom Balkon unseres Ferien-Blockhauses im Bregenzer Wald, den wir 30 Jahre lang genießen konnten. Im Hintergrund die Kanisfluh

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Im Mai des Jahres 2016, ergänzt im Frühjahr 2018

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