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Diese Broschüre ist 1995 im Auftrag des Auswärtigen Amts erschienen.

Über den Inhalt:
Vieles von dem, was über die Europäische Union gesagt und geschrieben wird, gehört ins Reich der Fabeln.
Diese Broschüre bringt solch Fabel-haftes über:
die Organe der EU
die Gemeinsame Außenpolitik
die Währungsunion
die Ost-Erweiterung der EU
die innere Sicherheit
den Binnenmarkt
die Außenbeziehungen und die Handelspolitik der EU
die Umweltpolitik
Deutschland in der EU

Die fabel-hafte Europäische Union


Auch Staaten können Fehler machen. Die Europäische Union ist kein Staat. Man darf daraus nicht den Schluß ziehen, sie sei fehlerfrei. Die Europäische Union, kurz: die EU, besteht aus fünfzehn Staaten. Man darf daraus nicht schließen, sie mache fünfzehnmal soviel Mist wie ein Staat allein.

Die EU ist weder durch göttliche Eingebung davor geschützt, Unsinniges zu erlassen, noch ist sie von teuflischer Macht dazu ausersehen, uns ins Verderben zu stürzen. Letzteres könnte aus manchen Kommentaren und Kritiken über „Brüssel“ gefolgert werden:

Brüssel verpulvert Milliarden, die Deutschland zahlt. Brüssel hat den Krieg in Bosnien nicht stoppen können. Brüssel will uns die D-Mark nehmen. Brüssel zieht alle Macht an sich, die Staaten haben nichts mehr zu sagen.

Vieles von dem, was über die EU so in Umlauf ist, gehört ins Reich der Fabeln. Es wird eine Menge Fabel-haftes über Brüssel und die Europäische Union gesagt und geschrieben.

Das wäre nicht weiter schlimm, wenn dadurch nicht die Europäische Union, diese wirklich fabelhafte, nämlich wunderbare Errungenschaft der europäischen Völker, so in Mißkredit geraten würde, daß man befürchten muß, dieses einmalige Experiment, das für unsere Zukunft so wichtig ist, könnte am Ende mißlingen. Also: Alle Fabeln in Haft!


Fabel-haftes über:

die Organe der EU

Es gibt abenteuerliche Fabeln über die Größe und die Macht einer EU-Bürokratie, die in Brüssel sitzt und darüber brütet, wie sie brave Bürgerinnen und Bürger in Palermo oder Paderborn mit neuen Verordnungen schikanieren könnte; sie heißt Kommission. Sie kann anscheinend von keinem Staat und von keinem Parlament kontrolliert werden. Das Europäische Parlament in Straßburg hat, wenn man dem Buch „Märchen und Mythen aus der EU“ glauben darf, sowieso nichts zu sagen. Und überhaupt ist die ganze EU undemokratisch, bürgerfern und undurchschaubar.

Brüssel ist eine riesige Eurokratie, ein „Moloch“, dem geopfert werden muß, was er fordert. Und er fordert vor allem: Milliarden an Geld.

Natürlich hat die Kommission in Brüssel Büros und Beamte. Sie hat sogar viele Büros und viele Beamte, denn sie ist für 370 Millionen Europäer zuständig. Für die Kommission arbeiten 16 800 Menschen. Ein riesiger Apparat? Die Stadt Köln hat knapp eine Million Einwohner und mehr Bedienstete, nämlich 19 429.

Ein paar tausend sind in der Kommission allein dafür da, Gesprochenes und Geschriebenes in die elf Amtssprachen der fünfzehn Mitgliedstaaten zu übersetzen. Riesig ist die Bürokratie in Brüssel also nicht, aber vielleicht teuer? Die ganze Kommission – Personal, Verwaltung, Gebäude, Material, Delegationen in mehr als hundert Staaten – kostet jeden Bürger der EU pro Jahr 13 Mark und 50 Pfennig. Das sind drei Glas Bier oder zwei Viertel Wein in der Kneipe. Für Abstinenzler: vier Gläser Apfelsaft. Zu teuer?

Die Kommission in Brüssel hat alle Macht; sie ist an allem schuld, was in der EU nicht in Ordnung ist. Die Staaten müssen auslöffeln, was Brüssel ihnen einbrockt.

Also, das Märchen von der Macht der Kommission in Brüssel ist so falsch wie das Herz der Stiefmutter von Schneewittchen, aber es lebt fort und fort wie Rotbart im Kyffhäuser.

Die Wirklichkeit ist etwas anders: Alle wichtigen Entscheidungen in der EU werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten getroffen, und zwar von den jeweils zuständigen Ministern, die als Rat der EU zusammenkommen. Das Europäische Parlament hat dabei ein gewichtiges Wort mitzureden. Die Kommission macht nur die Vorschläge, und dabei muß sie die Interessen der Bürger aller Mitgliedstaaten berücksichtigen, also Tiroler Hut, Baskenmütze, Bowler, Strohhut und weitere Kopfbedeckungen nebst Krone und Zylinder unter den einen berühmten Hut bringen.

Die ganze EU ist bürgerfern. Die Kommission in Brüssel entscheidet darüber, was die Menschen hoch oben im fernen Lappland oder weit unten auf Kreta tun und lassen müssen. Niemand kann sich darüber beschweren.

Jetzt mal Hand aufs Herz: Wissen Sie Bescheid, wie in Deutschland die Gesetze entstehen? Wissen Sie, worüber in Ihrem Bundesland und nicht in Bonn entschieden wird? Wissen Sie, was ein Kreistag zu beschließen hat und wie er das macht?

Wenn Sie auf all’ das eine Antwort wissen, dann – gehören Sie sicher nicht zu denen, die über Bürgerferne in der EU schimpfen. Dort heißen die Gesetze zwar nicht Gesetz, sondern Verordnung oder Richtlinie, und sie werden letzten Endes nicht per Abstimmung im Parlament verabschiedet, sondern im Ministerrat, was das EP in vielen Fällen verhindern kann, wenn es das für richtig hält – also, ein bißchen komplizierter als in den einzelnen Staaten ist es in der EU ja schon. Aber wer sich informieren will, der hat hier ebenso die Möglichkeit dazu wie zuhause.

Und wer sich beschweren will, hat ebenfalls ausreichend Gelegenheit: Das Europäische Parlament hat einen Petitionsausschuß, an den sich jeder wenden kann, und es hat einen unabhängigen Bürgerbeauftragten gewählt, den Finnen Jacob Söderman. Der ist so etwas, wie es der Ombudsman in Schweden ist: Jeder kann ihm direkt seine Beschwerden über die EU mitteilen; er kümmert sich um alles.

Also, bürgerfern ist die Europäische Union eigentlich nur für alle, die sich ihr fernhalten.

Die EU höhlt die Macht der Staaten aus und wird sie schließlich ganz verschlucken.

Es scheint eher so, als ob die Furcht vor einem allmächtigen Europa manche Köpfe ausgehöhlt habe. Die EU kann beileibe nichts aushöhlen, da sie nur so viele Befugnisse hat, wie ihr die Mitgliedstaaten vertraglich überlassen haben – und dazu zählt gewiß nicht das Recht, irgend etwas über die Köpfe der Regierungen hinweg entscheiden zu können, weil die Regierungen ja im Rat der EU gemeinsam beraten und beschließen.

Die Mitgliedstaaten werden auch nicht geschluckt und verschwinden. Im Gegenteil: Ihre nationale Identität muß erhalten bleiben. Das steht ausdrücklich so im Vertrag über die EU. Das wollen auch alle Staaten so, und deshalb haben sie im EU-Vertrag festgelegt, daß „Brüssel“ nichts anpacken darf, was die einzelnen Staaten ebenso gut selber regeln können. Sicher: Der Binnenmarkt verlangt einheitliche Regeln. Aber vieles werden die Staaten auch weiterhin selber machen und entscheiden. Man nennt dies das Subsidiaritätsprinzip. Es garantiert, daß es in der EU keinen Einheitsbrei geben wird.

Das Europäische Parlament in Straßburg hat keinen Biß, kann nichts entscheiden, ist nur eine Quasselbude.

Im Märchenbuch über die EU spielt die Kommission in Brüssel die Rolle der bösen Stiefmutter, die mit Macht und Machenschaften die Fäden zieht, natürlich zum Unheil aller anderen, während dem Parlament in Straßburg die Rolle des armen Aschenputtels zugewiesen ist, auf das niemand hört. Das eine stimmt so wenig wie das andere mit der Wirklichkeit überein. In der EU können viele wichtige Entscheidungen überhaupt nicht ohne Mitwirkung des Europäischen Parlaments (EP) fallen:

• Die meisten Verträge mit Staaten außerhalb der EU brauchen die Zustimmung des EP, wie im Dezember 1995 der Vertrag über die Zollunion mit der Türkei oder im Mai 1994 die Beitrittsverträge mit Österreich, Schweden und Finnland.

• Die neue Kommission unter Jacques Santer konnte ihr Amt erst antreten, nachdem das EP ihr zugestimmt hatte. Das trifft auch für jede künftige Kommission zu: Sie braucht die Zustimmung der Abgeordneten des Parlaments in Straßburg.

• Das EP ist das einzige Organ der EU, das die Kommission durch ein Mißtrauensvotum zum Rücktritt zwingen kann.

• EP und Ministerrat bilden zusammen die Haushaltsbehörde; bei Ausgaben, die für die Zukunft wichtig sind (wie Forschung, Umwelt, Außenbeziehungen) hat das EP das letzte Wort in den Haushaltsberatungen.

• Entscheidungen in den Bereichen Binnenmarkt, Kultur, Bildung, Gesundheit, Verbraucherschutz, Forschung oder Umwelt kann der Rat nicht treffen, wenn das EP „Nein“ sagt.

• An der Vorbereitung der Regierungskonferenz von 1996 im kleinen Kreis von Ministerbeauftragten nahm das EP mit zwei Abgeordneten teil; an der Regierungskonferenz wird es beratend beteiligt.

Klingt das alles nach der Rolle von Aschenputtel?


Fabel-haftes über:

die gemeinsame Außenpolitik

Zugegeben, es ist ein bißchen verwirrend: Wenn in der EU eine Politik als „gemeinsame“ bezeichnet wird, dann kann das bedeuten, daß die Einzelstaaten nichts mehr allein, sondern alles nur noch gemeinsam beschließen (wie das in der Gemeinsamen Agrarpolitik der Fall ist), es kann aber auch heißen, daß jeder Staat noch einzeln für sich handelt und die EU nur in bestimmten Fällen gemeinsam auftritt (so ist es in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, kurz GASP).

GASP? – Nie gehört!

Da geht’s Ihnen wie vielen: Die Abkürzerei in der EU versteht niemand, der nicht täglich damit befaßt ist. Aber wer dauernd von Bandwürmern wie Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik oder Ausschuß der Ständigen Vertreter reden und schreiben muß, der braucht die Kurzformen einfach zur Schonung von Zeit und Nerven.

Außenpolitik ist Sache von Diplomaten, und Diplomaten sind zurückhaltend. Vielleicht hängt es damit zusammen, daß die Öffentlichkeit bisher recht wenig von der Gemeinsamen Außenpolitik der EU erfahren hat. Also nehmen wir ein Beispiel:

Da erzählt im Fernsehen Hans Koschnick – Sie wissen: der frühere Bürgermeister von Bremen – von seiner Aufgabe, in der vom Krieg verwüsteten Stadt Mostar in Bosnien ein friedliches Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Nationalität zu organisieren. Eine Herkules-Arbeit. Der Versuch, im Hurrikan ein Bäumchen zu pflanzen.

Was wohl nur wenige Fernsehzuschauer wissen: Hans Koschnick ist ein Mann der GASP. Er handelt im Auftrag der Europäischen Union als „unser Mann in Mostar“. Es war eine der ersten Gemeinsamen Aktionen im Rahmen der GASP, die Verwaltung von Mostar, der alten Hauptstadt der Herzegowina, zu übernehmen. Mit großem Erfolg bisher.

Außenpolitik, die macht doch jeder Staat selbst, oder nicht?

Ja, immer noch – und nein, immer weniger. Oder andersherum gesagt: Immer häufiger tritt die EU in der Außenpolitik mit einer Stimme auf. So ganz selbstverständlich ist das nicht, denn in der Gemeinsamen Außenpolitik gilt das „Konsensprinzip“: Man muß solange nach einem gemeinsamen Standpunkt suchen, bis alle fünfzehn Staaten zustimmen können.

Das ist nicht immer einfach, und oft kann die Europäische Union deshalb nur spät oder gar nicht reagieren. Aber Gemeinsame Außenpolitik der EU ist wichtig für die Zukunft Europas, denn was erwarten die Menschen von ihr? Vor allem dies:

• Es soll Frieden bleiben;

• wo der Frieden gebrochen wurde, soll das Schießen so bald wie möglich aufhören;

• mit Rußland, Polen, Ungarn und all’ den anderen Länder im Osten und Südosten der EU wollen wir friedlich zusammenleben;

• die Menschenrechte sollen eingehalten werden, überall auf der Welt;

• den Menschen in den armen Ländern der Welt muß geholfen werden, damit sie nicht Hetzern und Haßtreibern auf den Leim gehen.

Das sind gewaltige Aufgaben, die ein europäisches Land allein gar nicht mehr bewältigen kann. Da müssen alle an einem Strang ziehen. Und deshalb ist eine Gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union so wichtig.

Übrigens: Eine der Aufgaben der Regierungskonferenz von 1996 ist es, die Zusammenarbeit der EU-Staaten in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik zu verbessern.


Fabel-haftes über:

die Währungsunion

Also, über die D-Mark geht uns Deutschen doch nichts. Zwar ist sie auch nicht mehr das, was sie einmal war. Die Preissteigerungen haben an ihr so genagt, daß eine Mark heute noch gerade soviel wert ist wie 30 Pfennig im Jahr 1960. Aber im Vergleich zu anderen Währungen rings um uns herum ist sie eben doch... – wenn man mal vom Gulden absieht, vielleicht noch vom Schilling, und die Dänenkrone ist auch recht stabil geblieben. Aber irgendwie ist uns die D-Mark doch, was den Briten das Königshaus, den Franzosen die Grande Nation, den Schweizern das Matterhorn ist: Eine nationale Institution, einfach unantastbar. Und nun will Brüssel uns die D-Mark nehmen und dafür den Euro einführen. Mark-erschütternd!

Zwei Währungsreformen haben wir in diesem Jahrhundert schon hinter uns, deshalb wissen wir aus bitterer Erfahrung: Bei einer Währungsumstellung verliert man immer Geld.

Stellen Sie sich vor, Sie machen in einem Ferienclub Urlaub, wo nur mit Muscheln bezahlt wird. Sie tauschen zwei Muscheln für jede Mark. Ein Bier kostet hier nicht vier Mark, sondern acht Muscheln. Würden Sie sagen, Sie hätten dabei Geld eingebüßt?

Natürlich nicht; ist ja auch nur ein Umtausch, keine Währungsreform. Aber ebensowenig ist die Umstellung von D-Mark oder Schilling oder Gulden in die Euro-Währung eine Währungsreform. Nehmen wir an, die Umstellung erfolgt im Verhältnis 2:1, also zwei D-Mark für einen Euro. Dann kostet ein Bier nicht vier Mark, sondern zwei Euro. Nicht billiger, aber auch nicht teurer.

Alles ist nichts als ein rein rechnerischer Vorgang: Ihre Guthaben, Ihre Versicherungen, Ihr Lohn oder Gehalt, Ihre Rente werden ganz einfach umgestellt. Im gleichen Verhältnis natürlich auch alles, was Sie bezahlen müssen: die Mieten, die Fahrkarten, die Tilgungen fürs Häuschen, die Lebensmittel beim Kaufmann. Nicht die geringste Einbuße an Kaufkraft. Also nur keine Angst vorm Eurogeld.

Die Euro-Währung kann niemals so stabil sein wie unsere D-Mark.

Wieso eigentlich nicht? Was hat denn unsere Mark so stabil gemacht? Das lag zum einen daran, daß die Bundesbank unabhängig und nach ihrer Satzung verpflichtet ist, die deutsche Währung stabil zu halten, zum andern an der vernünftigen Haushaltspolitik unserer Regierungen und nicht zuletzt an der Stärke unserer Wirtschaft. Das hat dazu geführt, daß unser Staat lange Zeit nur wenig Schulden gemacht hat, daß die Zinsen niedrig waren.

Und warum waren manche Währungen in Europa nicht so stabil? Unter anderem deshalb, weil die Notenbanken dort nicht unabhängig waren; die Regierungen konnten etwas sorgloser Schulden machen; sie konnten ihre Haushaltslöcher mit Krediten ihrer Zentralbanken stopfen, denn die Notenbanken unterstanden ja dem Finanzminister.

Und was haben die EU-Staaten für die Währungsunion vertraglich vereinbart? Schon vor Beginn der Währungsunion muß jeder Staat seine Notenbank so unabhängig machen, wie es bei uns die Bundesbank ist; in einer mehrjährigen Vorbereitungszeit muß jeder Staat seine Schulden abbauen und seine Neuverschuldung begrenzen, muß dafür sorgen, daß die langfristigen Zinsen und die Inflationsrate sinken, muß seine Währung gegenüber den anderen Währungen stabil halten. Denn: Nur wer strenge Aufnahmebedingungen („Konvergenzkriterien“) erfüllt, kann überhaupt an der Währungsunion teilnehmen.

Und wenn ein Land, das in der Währungsunion ist, wieder in den alten Schlendrian verfallen sollte, kann die EU einschreiten, zunächst mit Empfehlungen, später mit empfindlichen Geldbußen. Kein Land der Währungsunion muß für Schulden anderer Länder aufkommen. Kein Land der Währungsunion kann Haushaltslöcher mit Krediten seiner nationalen Notenbank stopfen und schon gar nicht mit Krediten der neuen Europäischen Zentralbank (EZB), die ihren Sitz in Frankfurt am Main haben wird. Die EZB wird sich an eine Satzung halten müssen, die noch strenger ist als die der Bundesbank; sie ist im Vertrag über die Europäische Union verankert und damit so wenig antastbar wie eine Verfassung.

Wer also behauptet, die Voraussetzungen für die Stabilität der Euro-Währung seien weniger gut als die für die D-Mark, weiß es nicht richtig oder will Angst schüren.

Von der Euro-Währung profitieren alle, nur wir Deutschen nicht.

Im Gegenteil! Wir Deutschen sind das reisefreudigste Volk in Europa. Pro Jahr geben wir 40 Milliarden Mark für Reisen in andere EU-Länder aus. Das Geld müssen wir umtauschen. Wenn dabei auch nur zweieinhalb Prozent an Kosten entstehen, macht das eine Milliarde Mark, die uns Jahr für Jahr in der Urlaubskasse fehlt. In einer Währungsunion gibt’s keinen Umtausch mehr. Mit dem deutschen Euro-Geld zahlen Sie in allen Ländern der Währungsunion, als wären Sie daheim. Kein mühsames Umrechnen mehr.

Und erst die Exportwirtschaft! Wir sind ja auch Europameister im Export. Viele Milliarden können eingespart werden, wenn die Risiken des Währungsumtauschs entfallen. Die Währungsunion wird ein Wirtschaftsraum mit größerer Preisstabilität sein, mit wachsendem Austausch an Waren und Dienstleistungen, mit mehr Möglichkeiten der Beschäftigung.

Was kann uns reiselustigen und exportabhängigen Deutschen eigentlich Besseres passieren, als daß unser bewährtes Modell der Stabilität zum Modell für ganz Europa wird!


Fabel-haftes über:

die Osterweiterung der EU

Mit der EU verhält es sich ein bißchen wie mit der Ehe: Viele, die drin sind, schimpfen über sie; viele, die draußen sind, wollen unbedingt hinein. Fast alle Staaten östlich der EU, von Estland im Norden bis Bulgarien im Süden, haben mit der EU Abkommen geschlossen, die ihnen einen Beitritt in Aussicht stellen; viele haben den Beitritt schon beantragt. Und die Europäer, die schon in der EU sind, freuen sie sich auf den Familienzuwachs? Manche meckern jetzt schon, als würden wir uns damit nichts als die arme Verwandtschaft nebst Pest und Gaunerei ins Haus Europa holen.

Das bringt uns doch nur die Ost-Mafia ins Haus. Über offene Grenzen kommt das organisierte Verbrechen noch leichter zu uns.

So dicht, daß sie für Gangster unüberwindlich werden, kann man Grenzen überhaupt nicht mehr machen. Grenzkontrollen halten internationale Mafiabanden nicht davon ab, zu uns zu kommen. Da hilft nur eines: Die Banden dort zu zerschlagen, wo sie ihre Heimat haben. Aber das schaffen kleinere Staaten allein heute gar nicht mehr.

Innerhalb der EU haben die Staaten deshalb vereinbart, in der Innen- und Justizpolitik enger zusammenzuarbeiten. Wenn die EU sich nach Osten erweitert, nehmen auch unsere Nachbarn dort an dieser Zusammenarbeit teil. Das heißt doch: Als Mitglieder der EU haben die Staaten viel bessere Möglichkeiten, internationalen Banden den Garaus zu machen.

Und: Beitritt zur EU heißt ja nicht gleich Abschaffung aller Grenzkontrollen. Erst wenn neue Mitgliedstaaten die Außengrenze der EU ausreichend kontrollieren können, können sie auch „Schengen“ beitreten, also dem Abkommen von EU-Staaten, das Grenzkontrollen an den Binnengrenzen der EU abschafft.

Billige Arbeitskräfte aus dem Osten werden uns die Arbeitsplätze wegnehmen.

Das sind Sorgen, die man sehr ernst nehmen muß. Der verschärfte Kampf um die Arbeitsplätze wird uns auch in Zukunft Probleme machen. Produktionen werden ins Ausland verlagert, wenn die Kosten dort niedriger sind. Das geschieht aber unabhängig davon, ob das Ausland nun in der EU liegt oder außerhalb. Das Beispiel der Verlagerung von Produktionen nach Südostasien oder Nordafrika zeigt es.

Die Erfahrung zeigt auch, daß Arbeitsplatzverlagerungen innerhalb der EU weniger dramatisch sind als solche ins ferne Ausland. Warum? Unter anderem deshalb, weil von EU-Staat zu EU-Staat gewöhnlich nicht ganze Industrien, sondern nur Zweige abwandern, zum zweiten deshalb, weil der Binnenmarkt in der EU uns mehr Handel bringt und somit der Arbeitsplatzverlust durch neue Arbeitsplätze leichter auszugleichen ist. Der Beitritt neuer Staaten zur EU schafft unserer Industrie besseren Zugang zu diesen Märkten.

Die Osterweiterung kostet nur. Und wer zahlt? Natürlich die Deutschen.

Was ist schon umsonst zu haben in der Welt! Natürlich wird der Beitritt von Staaten, die unter dem Durchschnitt des Einkommens in der EU liegen, den Haushalt der Gemeinschaft zunächst einmal belasten. Und da Deutschland am meisten zur Finanzierung des EU-Haushalts beiträgt, entfällt nach Adam Riese auch von den Mehrkosten viel auf uns.

Aber so einfach rechnet sich das nicht. Wir profitieren auch am meisten davon. Wirtschaftlich, weil unser Handel mit den Nachbarn im Osten sich erheblich vergrößern wird. Politisch, weil die Erfolgsgeschichte der EU, nämlich die dauerhafte Sicherung von Frieden, Stabilität und Demokratie, auf weitere Staaten ausgedehnt wird. Das kann man gegen Geld gar nicht verrechnen.


Fabel-haftes über:

die innere Sicherheit

Es ist eine allgemeine menschliche Erfahrung: Was dem einen lieblich ins Auge sticht, ist dem anderen ein Dorn in demselben. So ist’s auch mit den offenen Grenzen im Binnenmarkt: Einige EU-Staaten haben ein Abkommen getroffen, das nach dem Ort seiner Unterzeichnung einfach „Schengen“ genannt wird; es sieht vor, daß die Grenzen zwischen den Schengen-Staaten überall ohne Kontrolle passiert werden dürfen. Einfach fabelhaft, sagen alle, die gern reisen und sich schon immer über den Stau an der Grenze geärgert haben. Gefährlich, gefährlich! – rufen andere: Wer sich über den Wegfall von Kontrollen freut, der führt nicht nur Mitbringsel im Koffer, sondern auch Böses im Schilde.

Wenn an Grenzen nicht mehr kontrolliert wird, freuen sich die Drogendealer, die Asylschlepper und die Autoschieber. Also bringt Schengen nur mehr Unsicherheit.

Stimmt nicht. Schengen hat mit Sicherheit mehr Sicherheit gebracht. Wohlwissend, daß die Welt voller Teufel ist, hat man vorgesorgt und es den Bösen erschwert, die freien Grenzen für ihr Unwesen zu nutzen. Die Polizei und die Justiz der Schengen-Staaten arbeiten besonders eng zusammen, vor allem in der Verfolgung des Drogenhandels. Die Polizei darf Gaunern auch über die Grenze zweier Schengenstaaten nacheilen; man hat einen Fahndungscomputer eingerichtet, der von allen Schengenstaaten benützt wird („Schengener Informationssystem“), man hat an den Grenzen von Schengenstaaten zu Ländern außerhalb der EU verstärkte Kontrollen eingeführt (über 3 000 Beamte des Bundesgrenzschutzes zusätzlich an der deutschen Ostgrenze). All diese „Sicherheitsausgleichsmaßnahmen“ (so die Bezeichnung im Amtseuropäisch) haben die Sicherheit in Deutschland nachweislich erhöht. Ist das sicher? Aber sicher! Der Schengen-Computer, der Personen speichert, die mit Haftbefehl gesucht werden oder denen die Einreise verweigert wird, bringt allein in Deutschland wöchentlich 300 Treffer: Die „Aufgriffsquote“ hat sich erhöht.

Schengen funktioniert nicht. Frankreich ist ein Schengenstaat, hat aber wieder Grenzkontrollen eingeführt.

Jeder Schengenstaat darf, wenn es seine nationale Sicherheit oder öffentliche Ordnung erfordert, an seinen Grenzen zu anderen Schengenstaaten für eine befristete Zeit wieder Kontrollen einführen; er muß nur seine Partnerstaaten vorher unterrichten. Frankreich hat die Grenzkontrollen wegen der Bomben-Attentate im Sommer 1995 vorübergehend weiter beibehalten.


Fabelhaftes über:

den Binnenmarkt

Der Binnenmarkt ist neunmal so groß wie Deutschland: Er reicht von Lissabon bis Lappland, von den Hebriden bis Hellas. Und im ganzen Binnenmarkt können wir uns wie zu Hause fühlen: Über die Grenzen reisen nach Lust und Laune, ein Geschäft eröffnen, wo es sich lohnt, wohnen, wo man seine Arbeit hat, studieren, wo man möchte, sich zur Ruhe setzen, wo es einem gefällt. Fünfzehn Staaten Europas sind für uns wie Inland, mit den berühmten vier Freiheiten: Alle Binnengrenzen sind offen für den Personenverkehr, für den Austausch von Waren, für Dienstleistungen wie Transport oder Versicherungen, für das Kapital, das günstige Anlage sucht. Aber der Binnenmarkt ist auch Quell so mancher Fabeln über Brüssel.

Wir müssen stinkendes Eberfleisch essen, weil Brüssel es so will.

Eine Schweinerei, die zum Himmel stinken würde – wenn’s denn wahr wäre! Wahr ist, daß Eberfleisch ein Hormon enthält, das seine von der Natur beabsichtigte Wirkung nicht über jede Nase auslöst. Wahr ist auch, daß Eberfleisch beim Braten Gerüche freisetzt, die alles, was keinen Rüssel hat, zur Flucht treiben kann. Unwahr ist, daß deutschen Hausfrauen beim Einkauf ein Eber als Schwein angedreht werden kann. Seit Anfang 1994 darf Eberfleisch zwar überall im Binnenmarkt verkauft werden, aber es muß deutlich als solches gekennzeichnet sein. Wenn das mal nicht der Fall sein sollte, ist nicht Brüssel schuld, sondern der Metzger.

Und warum erlaubt man so etwas überhaupt? Bei uns war der Verkauf von Eberfleisch früher verboten, in anderen EU-Staaten nicht. In einem Binnenmarkt aber kann etwas nur überall verboten sein oder überall erlaubt. Man hätte den Verkauf überall verbieten müssen, auch dort, wo der Eberbraten seine Tradition im Kochtopf hat. Man hat ihn statt dessen überall erlaubt, verlangt aber Kennzeichnung.

Das ist auch ein Stück Vertrauen in die Mündigkeit des Käufers: Jeder kann selbst entscheiden, ob er Eberfleisch kaufen möchte. Gezwungen wird niemand.

Genmanipulierte Lebensmittel können bei uns ohne Kennzeichnung auf den Markt kommen, weil die EU das erlaubt.

Also erstens: Noch ist überhaupt nichts geregelt. Und zweitens: Das „Inverkehrbringen“ von gentechnisch veränderten Lebensmitteln soll und muß EU-weit geregelt werden, weil der Verbraucherschutz im Binnenmarkt einheitlich sein muß. Das wird durch eine „Verordnung über neuartige Lebensmittel und neuartige Lebensmittelzutaten“ geschehen. Sie wird vorschreiben, daß gentechnisch veränderte Lebensmittel gekennzeichnet werden müssen. Über den Einzelheiten der Kennzeichnungspflicht wird in den EU-Organen noch gebrütet.

Brüssel verbietet krumme Gurken und kleine Äpfel.

Da lacht sich ja die Gurke krumm! Anlaß für diese Zeitungsente waren ganz vernünftige und völlig normale Amtshandlungen Brüssels: Für die Einteilung in Handelsklassen hat die Kommission, auch auf Wunsch des Handels und zum Vorteil der Verbraucher, Standards für Obst und Gemüse festgelegt. Das gab’s national schon immer. Für den Binnenmarkt mußten diese Standards aber europaweit geregelt werden. Also: Gurken der besten Klasse dürfen nicht krumm, Äpfel der besten Klasse nicht winzig sein.

Und damit das nachprüfbar ist, müssen halt genaue Angaben gemacht werden: Was ist krumm? Was ist winzig? – und so weiter. Daraus darf man aber nicht umgekehrt schließen, krumme Gurken und kleine Äpfel seien verboten! Mitnichten! Sie dürfen nur nicht in die Körbe der Handelsklasse 1A. Sie müssen billiger verkauft werden – was Freunde von Gurkensalat und Apfelkuchen freuen dürfte.

Brüssel verbietet den Gamsbart am Hut.

Mit solchen Meldungen kann man die Bayern zum Austritt aus Europa treiben! Wie kam dieser Unsinn in die Presse? Weil, wie so oft, ein kleiner und wahrer Kern darin steckt, der unzulässig verallgemeinert wurde. Wahr ist, daß die Europäische Union Tierarten schützt, die vom Aussterben bedroht sind. Dazu zählt auch eine Gemsenart in den Abruzzen; sie darf nicht mehr geschossen werden. Die Alpengemse aber, deren Rückenhaare den berühmten Gamsbart liefern, ist nach wie vor nur in der Schonzeit vor Jagersmann und Wildschütz sicher.

Brüssel schreibt vor, daß Fischer Haarnetze tragen müssen.

Einfach haarsträubend, wenn’s denn so wäre. Es gibt Hygienevorschriften für Arbeiterinnen und Arbeiter in Fischfabriken; sie müssen Haarnetze tragen. Oder essen Sie gern Ölsardinen mit Haaren?

Natürlich sollte auch auf hoher See Hygiene herrschen. Aber kann man auf jeden Fischkutter einen Aufpasser schicken, der prüft, ob die Seebären bei Wind und Wetter ihre Netze nicht nur auswerfen, sondern auch aufsetzen? In weiser Erkenntnis der Grenzen ihrer Kontrollmöglichkeiten hat die Europäische Union lediglich rechtlich unverbindliche Empfehlungen gegeben.

Billige Arbeitskräfte aus Portugal oder Griechenland nehmen uns die Arbeit weg.

Also, klar ist: Jeder EU-Bürger darf im ganzen Binnenmarkt dort arbeiten, wo er möchte. Eine herrliche Sache, denn nun kann beispielsweise ein Deutscher oder eine Deutsche ohne große Probleme auf Mallorca jobben, in London bei einer Bank anfangen oder auf Rhodos eine Wurstbude eröffnen. Aber die Freiheit der Arbeitsplatzwahl gilt natürlich auch umgekehrt für EU-Bürger aus anderen Staaten bei uns. Das bringt weiteren Wettbewerb auf unseren Arbeitsmarkt.

Die verstärkte Arbeitsteilung zwischen den EU-Staaten fördert einerseits die dringend nötige Anpassung der Betriebe an den raschen industriellen Wandel, sie kann aber auch Probleme bringen, vor allem dort, wo die Arbeitnehmer an Höchstlöhne und hohe soziale Standards gewöhnt sind. Damit es in krisenbedrohten Branchen nicht zu krassen Umbrüchen im Personal kommt, hat die EU den Mitgliedstaaten Übergangsfristen eingeräumt. So kann beispielsweise in der deutschen Baubranche durch nationale Regelung sichergestellt sein, daß EU-Ausländer nur zu den bei uns geltenden Tarifen beschäftigt werden dürfen.


Fabelhaftes über:

die Umweltpolitik

Natürlich schmeißen auch viele Deutsche ihren Müll weg, aber heimlich in den Wald und nicht in aller Öffentlichkeit, wie das die Südländer tun. Natürlich wird auch bei uns Gift ins Abwasser gekippt, aber wir haben immerhin seit langem Vorschriften, die das verbieten. Natürlich darf man bei uns auf den Autobahnen rasen wie sonst nirgends auf der Welt, aber wir bauen ja auch besonders umweltverträgliche Autos. In der Theorie und in der Gesetzgebung des Umweltschutzes sind wir Deutschen Weltmeister. Also kann doch alles, was uns Brüssel in Sachen Umwelt vorschreibt, nur schlechter sein als unser hoher Standard, oder? Das reißt doch nur neue Löcher in die Ozonschicht. Das heizt doch nur das Klima weiter an. Das macht uns doch so sauer wie den Regen. Stimmt’s?

In der EU bestimmen immer die Bremser das Tempo, auch in Sachen Umwelt. Wirksame Regelungen im Umweltschutz kommen nicht zustande, weil es immer einen Staat gibt, der nicht mitzieht. Und einer allein kann ja alles blockieren.

Wahr ist: Umweltschutz kann viel Geld kosten. Wahr ist auch: In der Europäischen Union gibt es reiche Staaten, aber auch welche, die den allgemeinen Wohlstand erst als Zukunftsmodell kennen. Und wahr ist auch: Reiche Staaten können Umweltstandards fordern, die sich weniger reiche noch nicht leisten können. Das vorweg.

Jetzt zum Umweltschutz in Europa. Früher, vor „Maastricht“, mußten Beschlüsse im Umweltbereich einstimmig gefaßt werden. Da konnte schon mal ein einzelner Mitgliedstaat Regelungen verhindern, die alle anderen für nötig oder wünschenswert hielten. So was bleibt in schlechter Erinnerung. Aber das hat sich seit 1993, also seit es die EU gibt, geändert: Das Wichtige in Sachen Umwelt wird jetzt mit der Stimmenmehrheit der Staaten beschlossen. Ein Staat allein kann also nichts mehr blockieren.

Außerdem: Auch Regierungen können klüger werden. Umweltschutz ist heute für alle EU-Staaten eine wichtige Zukunftsaufgabe. Die Gemeinschaft hat sich deshalb im Maastrichter Vertrag in der Umweltpolitik ein hohes Schutzniveau als Ziel gesetzt. Wer’s nachlesen möchte: Es steht im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, kurz EG-Vertrag, in Artikel 130r, Absatz 2.

Die Bremser können den Umweltschutz nicht mehr blockieren, aber jetzt werden die fortschrittlichen EU-Staaten wie Deutschland von der Mehrheit auf Mittelmaß gestutzt.

Es stimmt: Bei Mehrheitsentscheidungen in der EU kann ein großer Staat wie Deutschland überstimmt werden. Schon mehrmals hat die Bundesregierung im Rat der EU schärfere Umweltgesetze gefordert, konnte sich aber nicht durchsetzen. Doch das heißt nicht gleich Rückschritt aufs Mittelmaß, sondern nur: etwas kleinerer Fortschritt als erhofft, aber immerhin Fortschritt.

Auch wenn die EU-Regelungen aus deutscher Sicht nicht immer weit genug gehen, führt die Umweltpolitik der Staatengemeinschaft insgesamt zu einem Mehr an Umweltschutz in Europa. Umweltprobleme machen ja an Staatsgrenzen nicht halt. Saurer Regen vom Norden fällt auch in süßer Gegend im Süden. Das ist bitter. Deshalb hilft nationale Umweltpolitik allein nicht mehr. Und deshalb hat die EU mit mehr als 250 Rechtsakten im Umweltbereich dafür gesorgt, daß Umweltschutz inzwischen in ganz Europa weit über dem Mittelmaß liegt.

Brüssel kann verhindern, daß wir Deutschen höheren Umweltschutz betreiben als die anderen Staaten. Unsere alten Gesetze werden abgeschwächt, und neue Gesetze, die mehr Umweltschutz fordern, als Brüssel vorschreibt, darf der Bundestag gar nicht mehr erlassen.

Der Wahrheit und den Wäldern zuliebe: Es stimmt nicht, daß Brüssel uns vorschreiben kann, wir müßten den schon erreichten hohen Umweltschutz wegen „Europa“ aufgeben. Es stimmt auch nicht, daß wir schärfere Gesetze zum Umweltschutz nicht erlassen dürften, wenn die EU weniger fordert. Ein Blick in den EG-Vertrag genügt, um das Gegenteil zu beweisen. Dort heißt es in Artikel 130t:

Alles, was die EU in Sachen Umwelt beschließt, hindert die einzelnen Mitgliedstaaten nicht daran, verstärkte Schutzmaßnahmen beizubehalten oder zu ergreifen.

Allerdings dürfen solche Alleingänge nicht den Nerv des Binnenmarkts treffen: den freien Warenverkehr. Darüber hat die Kommission in Brüssel zu wachen. Ein Staat darf also nicht unter Hinweis auf seine strengeren Umweltauflagen den Verkauf von Waren verbieten, die in anderen EU-Ländern hergestellt worden sind und den EU-Normen entsprechen. Deshalb sind höhere Umweltauflagen, die nur für einen Staat gelten, nicht ganz problemlos. Sie können zum Beispiel ausländischen Waren Vorteile verschaffen. Oder sie können Produktionskosten so verteuern, daß Unternehmen um ihre Wettbewerbsfähigkeit fürchten und Arbeitsplätze ins Ausland verlagern. Das hilft dann weder der Umwelt noch den Menschen bei uns. Deshalb müssen sich die umweltbewußten Staaten bemühen, den Umweltschutz in ganz Europa stetig zu steigern.


Fabelhaftes über:

die EU und Deutschland

Was wäre, wenn es die EU nicht gäbe? Die Mauer wäre wohl auch ohne EU weg, aber Deutschland vermutlich nicht vereint. Unser Handel mit Europa wäre viel geringer ohne Zollunion und Binnenmarkt, die Grenzen zu unseren Nachbarländern wären dicht. Die Inflation wäre in vielen Ländern heute noch hoch, die Währungen würden schwanken, Auf- und Abwertungen wären an der Tagesordnung. In vielen Politikbereichen wie Umwelt, Verbraucherschutz, Verkehr, Forschung, Asylrecht würden die Staaten einzeln nebeneinander und oft gegeneinander entscheiden. Kurz und gut: Wenn es die EU nicht gäbe, müßte sie schleunigst erfunden werden. Fabelhaft, die EU, wirklich fabelhaft. Und was gehört in den Beziehungen Deutschlands zur EU ins Reich der Fabeln?

Deutschland ist der Zahlmeister Europas.</i>

Deutschland ist der Bevölkerung nach der größte Staat der EU. Deutschland ist der EU-Staat mit der größten Wirtschaftskraft. Deutschland ist der Staat, der am meisten zum Haushalt der EU beiträgt.

Wenn man zusammenzählt, was Deutschland an Eigenmitteln der EU kassiert und an sie abführt, und wenn man davon wieder abzieht, was die EU direkt an Deutschland zahlt, dann bleibt eine große Lücke. Wir schicken mehr Geld nach Brüssel, als wir von dort bekommen. Sind wir deshalb benachteiligt?

Es gibt EU-Staaten, die mehr von Brüssel erhalten, als sie dorthin abführen. Es sind die ärmeren Staaten. Sie sollen allmählich den Lebensstandard der übrigen Staaten erreichen. Dazu brauchen sie Hilfe aus Brüssel. Woher soll das Geld dafür denn kommen, wenn nicht von den reichen Staaten?

Man kann so ein Jahrhundertwerk wie die EU nicht einfach mit der Additionsmaschine bewerten. Viele Vorteile, die wir Deutschen von unserer Mitgliedschaft in der EU haben, lassen sich nicht direkt in Mark und Pfennig ausdrücken. Wir haben Sicherheit und Frieden. Wir haben Freizügigkeit und Stabilität. Wir sind eine Exportnation und profitieren vom freien Handel in der EU mehr als andere.

Allerdings: Was wir an Brüssel abführen, sollte in vernünftigem Verhältnis stehen zu dem, was andere reiche Staaten zahlen.

Die neuen Bundesländer sind bestimmt nicht reich zu nennen. Dafür tut Brüssel doch auch nichts.

Die fünf neuen Bundesländer liegen in ihrer Produktivität tatsächlich unter dem Durchschnitt der EU. Und sie haben einen enormen Nachholbedarf. Deshalb sind sie von der EU auch in die förderungswürdigen Regionen eingereiht worden und erhalten Fördermittel wie Regionen in Irland, Portugal oder Griechenland. Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erhalten in den Jahren 1994 bis 1999 zusammen 28,5 Milliarden D-Mark aus Brüssels Töpfen.


Fabelhaftes über:

Außenbeziehungen und Handelspolitik der EU

Die Welt ist bekanntlich recht groß und hat viele Himmelsrichtungen, aus denen Erwartungen oder Forderungen kommen können. Die EU muß deshalb in ihren Beziehungen zur Welt und in ihrer Handelspolitik Schwerpunkte setzen. Das kann freilich in Regionen, die kein Schwerpunkt sind, Unzufriedenheit schaffen. Welthandel ist ein komplizierter Vorgang: Einerseits braucht die EU für ihren Export möglichst freien Zugang zu anderen Märkten, andererseits macht ihr eine zu große Importflut zu schaffen; einerseits muß sie wettbewerbsfähig bleiben gegen die Konkurrenz von alten oder neuen Industrieländern aus Asien und Amerika, andererseits muß sie Entwicklungsländern möglichst freien Zugang zum Binnenmarkt gewähren und fördert damit vielleicht die Konkurrenz von morgen. Was immer sie also tut, sie wird Kritik von innen oder von außen hören.

Die EU riskiert Handelskriege mit den USA und kümmert sich zuwenig um die transatlantische Partnerschaft.

Große Handelsmächte wie die USA und die EU haben gleiche Interessen und entgegengesetzte. Sie wollen möglichst unbehindert exportieren, was sie verkaufen wollen, und möglichst günstig importieren, was sie nicht selbst haben. Sie brauchen deshalb die Liberalisierung des Welthandels. Sie müssen aber auch ihre Wirtschaft vor Importen schützen, die wegen niedriger Löhne oder wegen Zuschüssen des Staates (Subventionen) konkurrenzlos billig sind; sie ergreifen deshalb Schutzmaßnahmen (Protektionismus), die der Liberalisierung des Welthandels widersprechen. Folglich werfen sie einander mitunter wechselseitig vor, Exporte (z. B. von Agrarprodukten) unzulässig zu fördern und Importe regelwidrig zu erschweren. In der Presse werden solche Auseinandersetzungen manchmal zum Handelskrieg hochgeschrieben.

Beide Handelsmächte wissen aber, daß auf Dauer nur weitere Liberalisierung des Welthandels zu mehr Wachstum und Wohlstand führt. Deshalb haben beide gemeinsam entscheidend mitgewirkt an der Schaffung der Welthandelsorganisation WTO, die Zölle und andere Handelshemmnisse weltweit weiter abbauen will.

Die Staaten der EU, die USA und Kanada haben eine gemeinsame Herkunft und daher auch gemeinsame Überzeugungen und Wertvorstellungen (man spricht von einer Wertegemeinschaft). Die transatlantische Partnerschaft bleibt deshalb auch nach Ende des Kalten Krieges ein Schwerpunkt der Außenbeziehungen der EU.

Die EU ist „ost-lastig“ und vernachlässigt den Mittelmeerraum.

Lang, lang ist’s her, aber vielleicht erinnert sich mancher noch: Der Kommunismus ist zusammengebrochen und hat in den Staaten des aufgelösten Ostblocks ein politisches und wirtschaftliches Chaos hinterlassen. Klar, daß die Nachbarn im Osten nun ein Schwerpunkt in den Außenbeziehungen der EU werden mußten. Die EU hat rasch geholfen, die Erfolge werden allmählich sichtbar.

Die EU ist reicher als die meisten anderen Regionen der Welt. Das bedeutet, daß fast jeder „Schwerpunkt“ ihrer Außenbeziehungen Geld kostet. Folglich kann die EU nicht überall, wo es erwartet wird, Schwerpunkte setzen. Sie setzt sie vor allem dort, wo’s brennende Probleme gibt, auch, damit die Flammen nicht aufs Haus Europa überschlagen.

Schon aus diesem Grund kann die EU den Mittelmeerraum (Nordafrika und den Nahen Osten) nicht vernachlässigen, und sie tut’s auch nicht. Im November 1995 haben sich die Außenminister der EU-Staaten mit ihren Kollegen aus den Mittelmeerstaaten in Barcelona getroffen, um eine neue umfassende Partnerschaft zu begründen; sie haben damit die Mittelmeerregion zu einem weiteren Schwerpunkt ihrer Außenbeziehungen gemacht.

Die EU verpaßt ihre Chancen in Asien.

In Asien gibt es riesige (China und Indien haben zusammen mehr als zwei Milliarden Einwohner!) und rasch wachsende Märkte. Japaner und Amerikaner haben uns Europäern dort eine Zeitlang den Rang abgelaufen. Deshalb hat die EU 1994 eine Asienstrategie entwickelt: Gegenseitige Öffnung der Märkte, Verbesserung der Bedingungen für Investitionen, enge Zusammenarbeit in Wissenschaft und Forschung, mehr partnerschaftlicher Dialog über gemeinsame Probleme. Mit dem europäisch-asiatischen Gipfeltreffen Anfang 1996 soll eine neue Ära der Zusammenarbeit beginnen.

Die EU kümmert sich zuwenig um die Entwicklungsländer.

Ein großer Teil der Welt war früher einmal Kolonialbesitz europäischer Staaten – kein Ruhmesblatt im Geschichtsbuch Europas. Die EU hat mit 70 Staaten der Erde, die ehemals Kolonien heutiger EU-Staaten waren, seit deren Unabhängigkeit besondere, vertraglich vereinbarte Beziehungen. Diese Staaten liegen in Afrika, der Karibik und im Pazifik und werden deshalb AKP-Staaten genannt. Sie können fast alle ihre Produkte zollfrei in die EU bringen; sie erhalten Ausgleich, wenn die Erlöse aus ihren Exporten sinken. Die EU hilft ihnen auch finanziell, um ihre wirtschaftliche Entwicklung und ihre Beteiligung am Welthandel zu fördern.

Die EU hat zudem mit Entwicklungsländern in Lateinamerika Abkommen zur Zusammenarbeit geschlossen, auch in Asien, so mit den ASEAN-Ländern, zu denen außer Indonesien, den Philippinen, Vietnam und Brunei die „kleinen Tiger“ Singapur, Malaysia und Thailand gehören.

Nicht zu vergessen: Die Katastrophen- und Nahrungsmittelhilfe der EU.

Die EU schottet sich nach außen ab, wird zur „Festung Europa“, empfindet Einflüsse von außen als störend.

Die EU ist einer der größten Binnenmärkte der Welt, und sie ist der offenste Markt für Importe aus aller Welt. Europa braucht Rohstoffe aus aller Welt, braucht den Handel mit Gütern, den Austausch von Dienstleistungen und Kapital. Und da die EU ihrerseits in alle Welt exportiert, kann sie schon aus Gründen der Selbsterhaltung nicht den Import in den Binnenmarkt behindern. Wer den Binnenmarkt mit Importhemmnissen vor der Konkurrenz schützen möchte, schadet langfristig sich selbst.


Text: Claus D. Grupp

Anmerkung aus dem Jahr 2016:

Einiges, was hier im Kapitel „Innere Sicherheit" ins Reich der Fabeln verwiesen wurde, ist seit 2015 Realität geworden.